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TOPLAGEN
Die Kraft des Schiefers
Nicht Zucker macht den Wein gut, sondern das Terroir die deutsche Winzerelite entdeckt ihre großen Gewächse neu.
Autor: THOMAS SCHWITALLA
Schon als junger Mann hatte Reinhard Löwenstein ein aufrührerisches Wesen. Das elterliche Weingut interessierte ihn nicht sonderlich, denn, so sagt er, mir standen die Rolling Stones näher als die Weinkönigin. Statt Winzer wurde er Hippie, trampte durch die Welt, lebte in Paris. Die heimatliche Mosel, die Enge im Tal am Fluss, das alles war ganz weit weg für ihn. Statt den Schnitt der Riesling-reben studierte er lieber die Theorien von Fidel Castro. Löwenstein ist ein Revolutionär geblieben wenn auch auf eine etwas andere Art. Natürlich ist er jetzt arriviert, sein eigenes Weingut existiert seit über 20 Jahren, es ist in der einschlägigen Literatur bestens bewertet, zu Recht. Seine exzellenten Rieslinge kosten etwa zwischen 10 und 20 Euro, Kunden dafür findet er genug. Dass Löwenstein seinen Betrieb so erfolgreich führt, liegt auch daran, dass er es als junger Erwachsener nicht beim Studium kommunistischer Schriften belassen hat. Er hat Landwirtschaft studiert, sogar Betriebswirtschaftslehre. Fast hätte er promoviert und wäre endgültig in den Schoß der bourgeoisen Gesellschaft zurückgekehrt. Aber so schlimm ist es dann doch nicht gekommen. Löwensteins revolutionärer Geist richtet sich nicht mehr auf die Veränderung der kapitalistischen Gesellschaftsordnung. Der Winzer hat sich darauf konzentriert, die deutsche Weinwelt durcheinander zu wirbeln. Das ist Aufgabe genug, denn die hatte sich Anfang der siebziger Jahre darauf verständigt, die Güte der Weine nach dem Zuckergehalt ihrer Moste, also dem potenziellen Alkoholgehalt, zu klassifizieren. Viel Zucker gleich viel Qualität, so lautet diese simple Gleichung. Die Weine mit den wenigsten Öchsle sind Tafel- beziehungsweise Qualitätsweine, dann kommen Kabinett, Spätlese und Auslese. Es ist ein eindeutiges System, das nur einen Nachteil hat: Es funktioniert nicht. Denn viel Alkohol bedeutet beim Wein eben nicht viel Qualität, schließlich kommt es auf die Aromen, auf das Gleichgewicht an und nicht auf die Wirkung. Deshalb ist in Frankreich, dem klassischen Anbaugebiet für hochwertige Weine, solch eine Einteilung undenkbar. Hier wird das Terroir bewertet, denn es macht die Weine eigenständig, sorgt für Geschmack und Charakter. Doch was ist Terroir? Terroir ergibt sich aus dem Zusammenspiel von Boden (Schiefer, Kalk, Ton), einem Mikroklima (besonders windgeschützte Mulde), und der Ausrichtung (am besten Süden) des Rebhangs. Löwenstein, der in Winningen Schiefersteillagen bewirtschaftet, hat seine Kampfkraft nun in den Dienst des Terroir gestellt und ein önologisches Manifest verfasst, das den programmatischen Titel trägt Von Öchsle zum Terroir. Darin zitiert er den Weinrechtsspezialisten Hans-Jörg Koch: Nicht alles, was aus der Traube stammt und gut schmeckt, ist deswegen auch Wein. In Schriften, die Titel tragen wie Alles Muttermilch, wettert der intellektuelle Winzer gegen die Coca-Colaisierung des Geschmacks und macht sich kluge Gedanken darüber, wieso so viele erwachsene Menschen zum süßen Kindergeschmack zurückkehren: Manipulation durch Werbung, Reaktion auf Stress, Folge der Geldgier der Produzenten? Im Weinbau geht Löwenstein einen ähnlich extremen Weg wie in seinen Schriften: Er kultiviert seine Rieslingreben auf steilen Grauschieferterrassen, beschränkt den Ertrag und lässt im Keller die Natur walten. Um die Gärung in Gang zu bringen, setzt er nicht wie üblich Reinzuchthefen zu, sondern vertraut auf die natürlich vorhandenen Hefen, seine Moste vergären mit relativ viel Sauerstoffkontakt. Auch das ist eher unüblich. Es ist ein bisschen so, wie mein Großvater schon gearbeitet hat, sagt er. Die Gärung verläuft im Keller seiner alten Winzervilla langsam, viele Weine behalten ein paar Gramm Restzucker. Das Ergebnis ist beeindruckend: Die Rieslinge egal ob eine einfache Schieferterrasse, ein Kirchberg oder die besten aus dem Röttgen und Uhlen sind sehr aromatisch und voll, besitzen dennoch Eleganz und Länge. Löwenstein steht mit seinem Engagement an der Spitze einer Bewegung, die sich im deutschen Weinbau formiert hat. Vor allem die im angesehenen VDP (Verband der Prädikatsweingüter) organisierten Gutsbesitzer setzen sich dafür ein, der Einzellage mehr Gewicht zu geben. Deren Präsident, Michael Prinz zu Salm-Salm, formuliert es drastisch: Die Avantgarde der deutschen Winzer hat sich entschieden: Für die Befreiung des Weins aus der tödlichen Umarmung durch die Geister der Industrialisierung. Für den Weinberg, für einen einzigartigen, spannenden und authentischen Genuss als Quintessenz aus Boden, Mikroklima, Rebe, Handwerk und Intuition. Ein Gedanke, der von vielen Kunden angenommen wird. Vor zehn Jahren wäre das nicht möglich gewesen, sagt Löwenstein. Immerhin hat sich der Verband, dem weite Teile der deutschen Winzer-elite angehören, dazu entschlossen, wieder große Gewächse zu produzieren und zu vermarkten. Die müssen aus klar definierten Lagen stammen und müssen eine Vielzahl von Qualitätskriterien erfüllen: Der Ertrag ist auf 50 Hektoliter pro Hektar begrenzt, die Trauben werden von Hand gelesen, sie müssen mindestens Spätlesequalität erreichen, die Vinifikation darf nur mit traditionellen Mitteln erfolgen. Mit anderen Worten: Technische Manipulationen wie Mostkonzentration sind verboten. Mit diesem System nähern sich die deutschen Spitzenwinzer der französischen Klassifizierung an, die bei einfachen Gebietsweinbezeichnungen beginnt und sich in den besten Gebieten wie im Burgund oder im Bordeaux bis zu den Grand-Cru-Weinen steigert. Immerhin: Der Begriff Grand Cru ist weltweit ein Synonym für beste Qualität. Inzwischen sind die Erfolge der neuen Ausrichtung zu sehen. So erhielt Fritz Hasselbach vom rheinhessischen Weingut Gunderloch neulich einen Anruf vom bekannten amerikanischen Weinautor Bruce Sanderson. Er sei bei einer großen Blindprobe gewesen, berichtete der, die Rothenberg-Rieslinge von Gunderloch habe er alle wiedererkannt. Das, so Hasselbach, ist Terroir. Sein roter Tonschiefer, so sagt er, sorge in den Weinen für die feinen Aprikosennoten. Wenn die Trauben dann vollreif sind, kann man Pfirsich im Wein schmecken. Er selber macht sich oft einen Spaß daraus, bei Blindproben die Regionen zu erkunden, und das in einem kleinen Raster. Zwischen nördlichem und südlichem Rheingau kann ich ziemlich gut unterscheiden, sagt der Winzer. Das Weingut Gunderloch macht viele edelsüße Weine, Beerenauslesen, Trockenbeerenauslesen. In diesem Bereich gehören Hasselbachs Weine zur absoluten Spitzenklasse. Doch gerade bei den edelsüßen Weinen spielt der Terroir-Geschmack kaum eine Rolle, denn die Trauben sind durch die Edelfäule zu Rosinen geschrumpft. Dennoch ist die Lage wichtig, sagt Hasselbach. Zwar nicht unbedingt für den Geschmack, aber für das besondere Klima, für die Wärme, die der Rothenberg besonders gut speichert. Die hält sich dort so gut, dass das Weingut Gunderloch vom angesehenen Magazin Wine Spectator bereits dreimal die sehr seltene Spitzenbewertung von 100 Punkten erhalten hat. Natürlich jedes Mal für einen Terroir-Wein, zuletzt für eine 2001er Trockenbeerenauslese aus dem Nackenheimer Rothenberg. Die Güter verkaufen ab Hof: - Heymann-Löwenstein, Bahnhofstr. 10, 56333 Winningen, Tel. 02606/19 19. Jahrgang 2003, alles Riesling: Schieferterrassen, 9,50 EUR; erste Lage Kirchberg, 14,50 EUR; erste Lage Röttgen, 17,50 EUR; erste Lage Uhlen, Blaufüßer Lay 19,50 EUR, erste Lage Uhlen, Roth Lay, 24,50 EUR. - Weingut Gunderloch, Carl-Gunderloch-Platz 1, 55299 Nackenheim, Tel. 06135/23 41. Rieslinge: Red Stone, 6,50 EUR; Rothenberg, Spätlese, 15 EUR, Rothenberg, Auslese, 22,50 EUR, Rothenberg, Goldkapsel, 37,50 EUR. Externe Links: [1]www.heymann-loewenstein.com, [2]www.gunderloch.de, [3]www.vdp.de References 1. http://www.heymann-loewenstein.com/ 2. http://www.gunderloch.de/ 3. http://www.vdp.de/