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(Nr. 46, 11.11.2004)

TOPLAGEN

Die Kraft des Schiefers

Nicht Zucker macht den Wein gut, sondern das Terroir die deutsche Winzerelite entdeckt ihre großen Gewächse neu.

Autor: THOMAS SCHWITALLA

 


   Schon als junger Mann hatte Reinhard Löwenstein ein aufrührerisches
   Wesen. Das elterliche Weingut interessierte ihn nicht sonderlich,
   denn, so sagt er, mir standen die Rolling Stones näher als die
   Weinkönigin. Statt Winzer wurde er Hippie, trampte durch die Welt,
   lebte in Paris. Die heimatliche Mosel, die Enge im Tal am Fluss, das
   alles war ganz weit weg für ihn. Statt den Schnitt der Riesling-reben
   studierte er lieber die Theorien von Fidel Castro.

   Löwenstein ist ein Revolutionär geblieben wenn auch auf eine etwas
   andere Art. Natürlich ist er jetzt arriviert, sein eigenes Weingut
   existiert seit über 20 Jahren, es ist in der einschlägigen Literatur
   bestens bewertet, zu Recht. Seine exzellenten Rieslinge kosten etwa
   zwischen 10 und 20 Euro, Kunden dafür findet er genug. Dass Löwenstein
   seinen Betrieb so erfolgreich führt, liegt auch daran, dass er es als
   junger Erwachsener nicht beim Studium kommunistischer Schriften
   belassen hat. Er hat Landwirtschaft studiert, sogar
   Betriebswirtschaftslehre. Fast hätte er promoviert und wäre endgültig
   in den Schoß der bourgeoisen Gesellschaft zurückgekehrt. Aber so
   schlimm ist es dann doch nicht gekommen.

   Löwensteins revolutionärer Geist richtet sich nicht mehr auf die
   Veränderung der kapitalistischen Gesellschaftsordnung. Der Winzer hat
   sich darauf konzentriert, die deutsche Weinwelt durcheinander zu
   wirbeln. Das ist Aufgabe genug, denn die hatte sich Anfang der
   siebziger Jahre darauf verständigt, die Güte der Weine nach dem
   Zuckergehalt ihrer Moste, also dem potenziellen Alkoholgehalt, zu
   klassifizieren. Viel Zucker gleich viel Qualität, so lautet diese
   simple Gleichung. Die Weine mit den wenigsten Öchsle sind Tafel-
   beziehungsweise Qualitätsweine, dann kommen Kabinett, Spätlese und
   Auslese. Es ist ein eindeutiges System, das nur einen Nachteil hat: Es
   funktioniert nicht. Denn viel Alkohol bedeutet beim Wein eben nicht
   viel Qualität, schließlich kommt es auf die Aromen, auf das
   Gleichgewicht an und nicht auf die Wirkung.

   Deshalb ist in Frankreich, dem klassischen Anbaugebiet für hochwertige
   Weine, solch eine Einteilung undenkbar. Hier wird das Terroir
   bewertet, denn es macht die Weine eigenständig, sorgt für Geschmack
   und Charakter. Doch was ist Terroir? Terroir ergibt sich aus dem
   Zusammenspiel von Boden (Schiefer, Kalk, Ton), einem Mikroklima
   (besonders windgeschützte Mulde), und der Ausrichtung (am besten
   Süden) des Rebhangs.

   Löwenstein, der in Winningen Schiefersteillagen bewirtschaftet, hat
   seine Kampfkraft nun in den Dienst des Terroir gestellt und ein
   önologisches Manifest verfasst, das den programmatischen Titel trägt
   Von Öchsle zum Terroir. Darin zitiert er den Weinrechtsspezialisten
   Hans-Jörg Koch: Nicht alles, was aus der Traube stammt und gut
   schmeckt, ist deswegen auch Wein. In Schriften, die Titel tragen wie
   Alles Muttermilch, wettert der intellektuelle Winzer gegen die
   Coca-Colaisierung des Geschmacks und macht sich kluge Gedanken
   darüber, wieso so viele erwachsene Menschen zum süßen Kindergeschmack
   zurückkehren: Manipulation durch Werbung, Reaktion auf Stress, Folge
   der Geldgier der Produzenten?

   Im Weinbau geht Löwenstein einen ähnlich extremen Weg wie in seinen
   Schriften: Er kultiviert seine Rieslingreben auf steilen
   Grauschieferterrassen, beschränkt den Ertrag und lässt im Keller die
   Natur walten. Um die Gärung in Gang zu bringen, setzt er nicht wie
   üblich Reinzuchthefen zu, sondern vertraut auf die natürlich
   vorhandenen Hefen, seine Moste vergären mit relativ viel
   Sauerstoffkontakt. Auch das ist eher unüblich. Es ist ein bisschen so,
   wie mein Großvater schon gearbeitet hat, sagt er. Die Gärung verläuft
   im Keller seiner alten Winzervilla langsam, viele Weine behalten ein
   paar Gramm Restzucker. Das Ergebnis ist beeindruckend: Die Rieslinge
   egal ob eine einfache Schieferterrasse, ein Kirchberg oder die besten
   aus dem Röttgen und Uhlen sind sehr aromatisch und voll, besitzen
   dennoch Eleganz und Länge.

   Löwenstein steht mit seinem Engagement an der Spitze einer Bewegung,
   die sich im deutschen Weinbau formiert hat. Vor allem die im
   angesehenen VDP (Verband der Prädikatsweingüter) organisierten
   Gutsbesitzer setzen sich dafür ein, der Einzellage mehr Gewicht zu
   geben. Deren Präsident, Michael Prinz zu Salm-Salm, formuliert es
   drastisch: Die Avantgarde der deutschen Winzer hat sich entschieden:
   Für die Befreiung des Weins aus der tödlichen Umarmung durch die
   Geister der Industrialisierung. Für den Weinberg, für einen
   einzigartigen, spannenden und authentischen Genuss als Quintessenz aus
   Boden, Mikroklima, Rebe, Handwerk und Intuition. Ein Gedanke, der von
   vielen Kunden angenommen wird. Vor zehn Jahren wäre das nicht möglich
   gewesen, sagt Löwenstein.

   Immerhin hat sich der Verband, dem weite Teile der deutschen
   Winzer-elite angehören, dazu entschlossen, wieder große Gewächse zu
   produzieren und zu vermarkten. Die müssen aus klar definierten Lagen
   stammen und müssen eine Vielzahl von Qualitätskriterien erfüllen: Der
   Ertrag ist auf 50 Hektoliter pro Hektar begrenzt, die Trauben werden
   von Hand gelesen, sie müssen mindestens Spätlesequalität erreichen,
   die Vinifikation darf nur mit traditionellen Mitteln erfolgen. Mit
   anderen Worten: Technische Manipulationen wie Mostkonzentration sind
   verboten.

   Mit diesem System nähern sich die deutschen Spitzenwinzer der
   französischen Klassifizierung an, die bei einfachen
   Gebietsweinbezeichnungen beginnt und sich in den besten Gebieten wie
   im Burgund oder im Bordeaux bis zu den Grand-Cru-Weinen steigert.
   Immerhin: Der Begriff Grand Cru ist weltweit ein Synonym für beste
   Qualität.

   Inzwischen sind die Erfolge der neuen Ausrichtung zu sehen. So erhielt
   Fritz Hasselbach vom rheinhessischen Weingut Gunderloch neulich einen
   Anruf vom bekannten amerikanischen Weinautor Bruce Sanderson. Er sei
   bei einer großen Blindprobe gewesen, berichtete der, die
   Rothenberg-Rieslinge von Gunderloch habe er alle wiedererkannt. Das,
   so Hasselbach, ist Terroir. Sein roter Tonschiefer, so sagt er, sorge
   in den Weinen für die feinen Aprikosennoten. Wenn die Trauben dann
   vollreif sind, kann man Pfirsich im Wein schmecken. Er selber macht
   sich oft einen Spaß daraus, bei Blindproben die Regionen zu erkunden,
   und das in einem kleinen Raster. Zwischen nördlichem und südlichem
   Rheingau kann ich ziemlich gut unterscheiden, sagt der Winzer.

   Das Weingut Gunderloch macht viele edelsüße Weine, Beerenauslesen,
   Trockenbeerenauslesen. In diesem Bereich gehören Hasselbachs Weine zur
   absoluten Spitzenklasse. Doch gerade bei den edelsüßen Weinen spielt
   der Terroir-Geschmack kaum eine Rolle, denn die Trauben sind durch die
   Edelfäule zu Rosinen geschrumpft. Dennoch ist die Lage wichtig, sagt
   Hasselbach. Zwar nicht unbedingt für den Geschmack, aber für das
   besondere Klima, für die Wärme, die der Rothenberg besonders gut
   speichert.

   Die hält sich dort so gut, dass das Weingut Gunderloch vom angesehenen
   Magazin Wine Spectator bereits dreimal die sehr seltene
   Spitzenbewertung von 100 Punkten erhalten hat. Natürlich jedes Mal für
   einen Terroir-Wein, zuletzt für eine 2001er Trockenbeerenauslese aus
   dem Nackenheimer Rothenberg.

   Die Güter verkaufen ab Hof:
   - Heymann-Löwenstein, Bahnhofstr. 10, 56333 Winningen, Tel.
   02606/19 19. Jahrgang 2003, alles Riesling: Schieferterrassen, 9,50
   EUR; erste Lage Kirchberg, 14,50 EUR; erste Lage Röttgen, 17,50 EUR;
   erste Lage Uhlen, Blaufüßer Lay 19,50 EUR, erste Lage Uhlen, Roth Lay,
   24,50 EUR.

   - Weingut Gunderloch, Carl-Gunderloch-Platz 1, 55299 Nackenheim, Tel.
   06135/23 41. Rieslinge: Red Stone, 6,50 EUR; Rothenberg, Spätlese, 15
   EUR, Rothenberg, Auslese, 22,50 EUR, Rothenberg, Goldkapsel, 37,50
   EUR.

   Externe Links: [1]www.heymann-loewenstein.com, [2]www.gunderloch.de,
   [3]www.vdp.de

References

   1. http://www.heymann-loewenstein.com/
   2. http://www.gunderloch.de/
   3. http://www.vdp.de/

 


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