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Reifeverlauf des Weins

Theorie und Praxis
 Reinhard Löwenstein, September 1995

 

Theoretisch läßt sich der Reifeverlauf eines trockenen Rieslings ja ganz gut beschreiben: So schmeckt der frisch abgefüllte Wein unruhig, ist geprägt von Kohlensäure und noch recht undifferenzierten Aromen. Dann folgt die erste Reifephase der »primären Fruchtaromen«, in der bei guten Rieslingen die Aromen von grünem Gras, Äpfeln oder Grapefruit assoziiert werden können. Bei Spitzenweinen bewegt sich der Duft im Bereich von Pfirsich, Honigmelone, Aprikosen, Himbeere… - oft ein schier endloses Feuerwerk der Düfte. Leider sind die Primäraromen nicht lange haltbar so daß der Wein langsam in die »Schlaf-« oder »Umbauphase« übergeht. In dieser Zeit schmecken die Weine manchmal leer und langweilig, oft sind sie geprägt von Aromen aus dem Bereich von Kräutern, Gekochtem sowie von stark mineralischen Komponenten. Hinzu kommen oft rauchige und leicht bittere Anteile sowie der - von einigen geliebte, von anderen gehaßte - »Petrolton«. Oft sind es wirre, unharmonische und teilweise aggressive Aromenkombinationen und nur selten durchlebt ein Wein diese Zeit »harmonisch«. 

Richtig gut schmecken die Rieslinge normalerweise dann erst wieder in der Reifephase, der Firne. Hier haben sich die oben beschriebenen Aromen aus der Umbauphase weiter entwickelt und geordnet, die Weine haben Farbe, eine leicht viskose Konsistenz, und bieten mit sehr eigenwilligen aber harmonischen Aromenkombinationen ein überaus intensives, spannendes und sehr reizvolles Geschmackserlebnis. 

In den letzten 30 Jahren gab es ganz eindeutig einen Trend hin zum jungen, fruchtbetonten Typ. Abschied vom »was alt ist, ist gut« ? Logischer Reflex unserer Jugendkultur? Sicher auch. Aber es gibt noch einen anderen Grund. Durch die moderne Hygiene und schonende Technologie sind wir erst heute in der Lage, die subtilen Fruchtaromen überhaupt heile in die Flasche hinüberzuretten. Derart aromatische trockene Rieslinge, wie wir sie heute vinifizieren, hat es früher ganz einfach gar nicht gegeben. Und ein Wein, der schon im Faß seine Fruchtaromen verloren hat und quasi in seiner Umbauphase auf Flaschen gezogen wird, der muß in der Tat einige Jahre reifen, bevor er wieder »Harmonie« bekommt. 

Einer der großen Denker hat es mal so schön formuliert: Manchmal muß man mit der Dialektik recht lange warten. Je nach Standpunkt »leider« oder »zum Glück« ist guter Wein kein vorherplanbares Industrieprodukt. Niemand kann exakt vorhersagen, wann und wie ein Wein seine Reifephasen durchläuft und wie er dann ggf. schmeckt. Wie oft schon habe ich Prognosen gewagt …

Aber wer hat schon die Muße, das Geld und den Platz im Keller, die Geschmacksentwicklung meiner Rieslinge über Jahre hinweg zu verfolgen? Warum nicht ganz pragmatisch sagen: Wenn er in den ersten 2 bis 4 Jahren in der Phase der Primäraromen so richtig toll schmeckt - warum soll er dann nicht auch getrunken werden? Die Weingeister werden keine Rache nehmen. Und genauso wenig tun sich Höllenschlünde auf bei dem Standpunkt: Primäraromen sind langweilig, nur der gereifte Riesling zeigt, was wirklich in ihm steckt, ist spannend, individuell… 

Mir ist eins wichtig: Sie haben Spaß und Freude am Wein - und trinken ihn, wenn's Ihnen paßt!

Prosit!

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