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 Rekorde mit Selbstanreicherung


Reinhard Löwenstein, März 1993

 

Die Weinbranche läßt es sich nicht nehmen, in jedem Jahr wieder für einige knallige Rekorde zu sorgen. Diesmal vor allem bei Erntemengen und Preisen. Wie bei allen anderen Früchten gab es auch bei den Trauben »reichlich«. 200 bis 300 hl/ha waren beim Müller Thurgau und so manch' wertvoller Neuzüchtung keine Seltenheit - und das in ganz Europa. Wen wundert's, daß sich dies auch auf die Preise niederschlägt? Niemand?! - Nein! - frei nach Asterix. Nicht ganz Europa wurde von der Aufklärung beseelt. Der kleine Volksstamm der Winzer trotzt 200 Jahre nach Diderot und D'Allembert hartnäckig jeder Logik. Tapfer und unbeirrt halten sie sich an die alten Weisheiten:  «Mein Wein ist der Allerbeste!« und »Die bösen Auslandsweine!« Eigenverantwortung - welch blasphemischer, neuzeitlicher Frevel. Wahre Frömmigkeit zeigt sich im Leiden! Die Hungernden und Dürstenden werden erlöset. Ihnen ist das Reich und die geöffnete Bluse der Obrigkeit mit subventionsgefüllten Brüsten . . .

Da die Politiker selbst in Rheinland-Pfalz auf Wählerstimmen der Winzer immer weniger Rücksicht nehmen müssen ( die gerade mal noch 10000 Winzerbetriebe machen den Bock auch nicht fett ), wird das Ding mit der Bluse immer schwieriger. Das Resultat: trotz wilder Winzer-Demo keine staatlichen Stützungskäufe, Mostpreise von unter einer Mark bis hin zu 0,50 DM pro Liter in Rheinhessen. Übermengen, aus denen nach EG-Recht kein Wein hergestellt werde darf, vagabundieren ein paar mal über die Grenzen, bis sie dann doch zu irgendwelchen Himmelströpfchen avancieren. Und noch ein Rekord: Bei Preisen für Sektgrundwein in Italien und Spanien von 0,30 bis 0,40 DM/Ltr. ist jetzt erstmalig bei der süßen Brause Flasche und Korken teurer als der Inhalt! Noch ein Rekord? OK. Im Oktober 92 wurde in deutschen Supermärkten Federweißer ( angeblich vitaminhaltig ) mit 3,99 DM erstmalig teurer verkauft als Spätlese ( garantiert zuckerhaltig ) die als Krönung deutscher Kellerkunst für schlappe 3,33 DM hartgesottenen KampftrinkerInnen entgegenschmachtete. ( Die 3,33 für eine Spätlese kann ich ja von der Kalkulation her noch nachvollziehen. Heiß wird's bei der Kalkulation von Söhnlein Brillant, der zur gleichen Zeit für 3,99 DM angeboten wurde. Abzüglich Umsatz- und Sektsteuer bleiben hier gerade mal 1,47 für Transport, Glas, Kork, Etikett, Abschreibungen, Flüssigkeit …

Es gibt Selbstmitleid, Selbstverteidigung und  Selbstbefriedigung. Aber Selbstanreicherung, nein, das konnte ich mir bis dato weder anatomisch noch galaktisch vorstellen. Aufklärung schafft das Mainzer Blatt mit dem Untertitel 'Zeitschrift für Weinkultur': Selbstanreicherung ist keine Yogaübung sondern heißt auf französisch auto-enrichissement und ist die önologische Innovation schlechthin. 30 Châteaus im Bordeaux, etliche in Burgund, viele werden folgen. . . Ist doch ganz logisch. Wer Zucker in den Most schüttet, um den Alkoholgehalt zu erhöhen, gibt ja nicht nur Geld aus sondern verdünnt mit dem Zucker auch die Aromastoffe, die Extrakte. Claro? Ist es da nicht viel galanter, dem Most Wasser zu entziehen. Der Zuckergehalt erhöht sich und gleichzeitig werden die Aromen konzentriert! Toll. Aus jedem dünnen Weinchen die Super-Bombe! Jedes Jahr Spitzenwein. Corriger la fortune, heißt das auf Französisch.  Gefrierkonzentration, Vakuumverdampfung, Umkehrosmose auf gut Deutsch. Önologische Innovation, wenn's der verklärte Journalist vom französischen Önologen verklickert bekommt, Panscherei - und mit Recht ein paar Jahre Knast - wenn ich mir so etwas einfallen ließe.

Weil's so schön war, zuguterletzt dann doch noch einen Rekord: Nach nur 6 Jahre wurde das erste Glykol-Strafverfahren »zu einem Abschluß« gebracht. Der Weinkaufmann S. wurde freigesprochen, da niemand eindeutig sagen konnte, wie sich das Glykol, sprich die Beerenauslesen aus bella Austria, in der gerade mal halben Milliarde Liter Wein aus deutschen Landen verdünnen konnte. Kosten trägt die Staatskasse. Toll, gelle!

Trinken wir auf die Staatskasse, auf Mostpreise und vakuumverdampfte Spätlesen, und darauf, daß es uns so gut geht, über all' dies lästern zu können. Prosit!